Bei den diesjährigen – den hundertsten – Bayreuther Festspielen ist die Premieren- und Wiederaufnahmerunde seit einigen Tagen zu Ende. Man muss mit Bedauern feststellen, dass das Jubiläum des Kultfestivals (vielleicht des Festivals schlechthin) äußerst trist ausfällt und dass das allgemeine künstlerische Niveau jedes Jahr weniger Festspielreife aufweist, ja dass es mit Qualität mittlerweile steil bergab geht.
In der herrschenden Durchschnittlichkeit oder sogar Unzulänglichkeit der musikalisch-theatralischen Leistungen zeichnen sich einzig der Festspielchor unter der Leitung des großen Eberhard Friedrich und der Ausnahmekünstler Kwangchul Youn als Festspiel- und Wagner-würdige Elemente durch bewundernswerte Stabilität aus. Es sei noch auf die überraschende Leistung von Thomas Hengelbrock im neuen Tannhäuser hingewiesen, den er im Großen und Ganzen mit sicherer Hand und guter Klangtransparenz dirigierte, oder auch auf die zweifellos sehr gelungene Parsifal-Inszenierung von Stefan Herheim, der mit seinem Konzeptansatz gegenwärtig das einzige überzeugende, d.h. gedanklich kohärente und visuell ansprechende, Regieexperiment des zum Regie-Workshop radikalisierten Grünen Hügels bietet. Es werden manchmal noch die Bässe Georg Zeppenfeld und Günther Groissböck hervorgehoben, aber nur mit korrekten, keineswegs glanzvollen Darstellungen des Landgrafen, Pogner oder König Heinrich allein wird bestimmt kein erfolgreiches internationales Wagnerfestspiel zustande gebracht. Dass es sich im Falle eines Groissböck nicht einmal um einen echten Bass, sondern um eine in der Tiefe inexistente, forcierende und schlecht projizierte Baritonstimme handelt, wird von niemandem bemerkt (man höre nur seinen Sarastro).
Das Problem der Sängerkrise (die sich bestimmt nicht nur auf das Wagnerrepertoire beschränken lässt) wird mehr oder weniger von Allen anerkannt. In Bayreuth bekundet sie sich allerdings auf eine noch kritischere Weise, denn in vielen Fällen bietet die Festspielleitung nicht bloß nur knapp durchschnittliche Besetzungen, sondern geradezu die Schlechtesten, die durch größere Aufmerksamkeit für den musikalischen Teil und durch mehr Kompetenz in Sachen Gesang bestimmt vermieden werden könnten. Man muss sich umso mehr über die niedrige stimmliche Qualität wundern, als es doch heißt, dass in Bayreuth alle Sänger, ungeachtet ihres Ruhmes, vorsingen müssen – dass die Festspielleitung also eigentlich nie eine Katze im Sack kauft. Daher bleibt nichts anderes, als die musikalische Kompetenz der für Castings zuständigen Personen radikal in Frage zu stellen. Da denkt man gleich an die Fälle katastrophaler gesanglicher Leistungen, wie Stephanie Friede, Annette Dasch, Irene Theorin, Susan Maclean oder, im letzten Jahr, Evelyn Herlitzius. Andere Sänger, wie der überförderte Klaus Florian Vogt, der nasale und mehr deklamierende als singende Simon O’Neill, die farblose Manuela Kaune oder die in den letzten Jahren merklich nachlassende Camilla Nylund, überschreiten ja kaum das Niveau des Durchschnittlichen und Akzeptablen. Eine ganze Reihe von Baritonen, wie die Interpreten des Telramund, Kurwenal oder Amfortas sind sowieso nichts als permanente Exponenten des notorischen „Bayreuth bark“. Und da kann auch ein Michael Nagy nicht helfen, denn mit seinem schwachen Legato bleibt sein Wolfram meilenweit hinter den großen lyrischen Wagnerbaritonen der Vergangenheit zurück. Die meisten der in Bayreuth präsenten Sänger kennzeichnen sich also dadurch, dass sie wegen äußerst mangelhafter Stimmtechnik entweder schlichtweg Schiffbruch erleiden oder nur knapp daran vorbeischlittern und in ihren Darstellungen letztlich völlig blass bleiben und alles andere als Maßstäbe für Wagnerinterpretationen setzen.
Das Publikum aber spendet reichlich Applaus und bestraft hier und da nur jene unzulänglichen Sänger, die zusätzlich noch das Pech haben, in besonders unerfreulichen Inszenierungen mitzuwirken. Als A und O der Produktionen bleiben sowohl im Guten als auch im Schlechten die Inszenierungen, denn einzig daran orientiert sich das Publikum. Die vielen musikalischen und stimmlichen Unzulänglichkeiten werden mit allen möglichen Surrogaten und Entschuldigungen vollgestopft, sodass letztendlich ein Simon O’Neill mit seinem deklamierten und gebrüllten Parsifal, der eher wie ein Mime dritten Ranges klingt, „überzeugt“ oder dass eine Annette Dasch damit entschuldigt wird, dass sie vielleicht doch eher „für das Mozartfach geeignet“ ist. Man vergisst aber, dass mit einer Stimme, die keine einzige Note mit der notwendigen Atemstütze produziert und deswegen systematisch wackelt und wankt, auch Mozart nicht gesungen werden kann / darf. In diesem Kontext ist die Schuld des zutiefst opportunistischen, offiziellen Kritikwesens nicht nur bei den Bayreuther Festspielen sondern auch allgemein in der gesamten Opernindustrie unermesslich groß. In den meisten Kritiken werden die Sänger entweder völlig abstrakt gelobt oder nur knapp und ohne detaillierte Stellungnahme namentlich erwähnt. Manchmal kommen sie in den Rezensionen überhaupt nicht vor, weil die Kritiker als ihre allererste und allerheiligste Pflicht eine detaillierte und hochphilosophische Analyse der hochkomplexen und hochphilosophischen Regiekonzepte betrachten. Die Sänger werden in nichtssagenden Pauschalurteilen zusammengefasst: „Sternstunde“, „glanzvoll“ und „kongenial“.
Ironischerweise kopieren die Musikliebhaber, die „unabhängigen Kritiker“, die auf verschiedenen deutschsprachigen Foren oder Blogs tätig sind, geradezu karikaturenhaft die Sprache der offiziellen Kritiker und kommen so auch selbst systematisch zu dem Ergebnis, dass, trotz schriller Töne, einer generellen Tendenz zum Sprechen, einer kehlig-forcierten Stimme und einer inexistenten Stimmführung, ein Simon O’Neill „überzeugen durfte“. Wie eine Karikatur mutet in diesem Diskurs des schreibenden Publikums und der publizistischen Schreiber sowohl das semantisch vage „überzeugen“, das jede Beurteilung anhand klarer Kriterien bewusst vermeidet, als auch das „dürfen“ an. Letzteres hat den Beigeschmack eines Gestus des erlesenen Publikums, das mit Ernst, Autorität und Herablassung den Künstler einer schweren Prüfung unterwirft und ihn letztendlich als Sieger akzeptiert, wobei der brausende Beifall, den es dem heutigen tristen künstlerischen Durchschnitt beschert, in sich schon die totale Verneinung jeglicher Kompetenz darstellt, worauf das gegenwärtige Festspiel- oder Alltagspublikum Anspruch erheben kann. Neben der permanenten Tendenz, aus einer Not eine Tugend zu machen und die unleugbaren Mängel der Sänger mit allen möglichen rhetorischen Instrumenten zu verklären, womit die Kritik als Generator des absoluten gesellschaftlichen Konsens der Vermarktung der künstlerischen Werte zum Erfolg verhilft, verrät das Publikum besonders bei hochkarätigen Festspielen, wie Bayreuth, die Tendenz zu besonderer Exaltiertheit. Mehr als das Werk und die Aufführung zelebriert sich hier das Publikum selbst für die Geduld von 10 Jahren Wartezeit und setzt letztendlich das tatsächliche künstlerische Niveau zu einer drittrangigen Nebenerscheinung herab.
Man kann nicht bestreiten, dass eine Irene Theorin dem überwiegenden Teil des Publikums tatsächlich gefallen haben muß. Wenn weder gebuht noch kritisiert wird, können auch die Zeitungschroniken aus heiterem Himmel kein Fiasko herab beschwören. Dass aber die offiziellen Kritiker, Experten und sonstige Spezialisten hinsichtlich des generellen Verfalls des musikalischen Niveaus absichtlich die Augen zudrücken, damit, abseits von künstlerischer Qualität, die Maschine des gesellschaftlichen Konsenses und jener des quantitativen, kommerziellen Erfolgs weiterfunktioniert, kann man nur als professionelle Unehrlichkeit bezeichnen. Natürlich ist der kommerzielle Erfolg der Opernindustrie in der Zeit der Finanzkrise höchst bedeutend, aber es wird vergessen, dass mit der systematischen (und oft wider besseren Wissens) Heraufbeschwörung und der fabrikmäßigen Reproduzierung von inexistenten „Sternstunden“, in deren Glanz sich sowohl das anspruchslose Publikum als auch die inadäquaten Künstler sonnen, kein erfolgreiches Dauerergebnis erlangt werden kann. Denn einer derart blassen und professionell unzuverlässigen Sängergeneration wird eine folgen, die noch unzureichender ist, deren Niveau hinsichtlich Stimmführung, Stimmprojektion und vokaler Langlebigkeit noch tiefer sinken wird. Letztendlich wird nichts anderes mehr bleiben, als im deutschen, spätromantischen Repertoire (und warum nicht auch in Mozart oder Verdi?) anstatt eines ohnehin schon falsch verstandenen Sprechgesanges nur noch reine Deklamation darzubieten, wobei das erlesene Publikum selig weiterklatschen wird bis die komplette Sackgasse auch tatsächlich für jedermann augenscheinlich wird.
Besonders symptomatisch in dieser Sänger- und Hör-krise ist das aktuelle Phänomen der Bedeutung einer Gegnerschaft oder Anhängerschaft hinsichtlich der „Regieoper“. Die Ausarbeitung besonders komplizierter, unverständlicher und absolut unmusikalischer Inszenierungen scheint nicht nur die ausgesprochene Priorität der neuen Festspielleitung des Grünen Hügels zu sein, sondern ist auch, wie schon erwähnt, der Hauptorientierungspunkt des Publikums. Mittlerweilen deklarieren ganze Gruppen von Musikliebhabern ihre Bereitschaft, systematisch gegen das „Regieoper“-Syndrom kämpfen zu wollen; lange, feurige Debatten werden dem Thema gewidmet und Taktiken und Prognosen werden angeboten. Es bleibt aber äußerst fraglich, ob die Abschaffung der „Regieoper“-Diktatur hinsichtlich der musikalischen Dimension der Aufführungen etwas bewirken würde. Denn den Sängern wird ja, wie man sieht, stets reichlich Beifall gespendet. Sie werden sogar zu Geiseln der Eurotrash-Regisseure erklärt. Was passiert aber, wenn ein Regisseur eine leere und fast konzertante Inszenierung wie „Die Frau ohne Schatten“ bei den diesjährigen Salzburger Festspielen darbietet? Die Sänger bleiben ihrer stimmlichen Unzulänglichkeit überlassen, besonders im Falle der absolut unakzeptablen Kaiserin der Frau Schwanewilms, und singen genauso schlecht wie sonst.
Gibt es denn im Publikum, das sich gegen die „Regieoper“ mit heftigen Buh-Orkanen wehrt, überhaupt das Bedürfnis, auch auf musikalischem Niveau etwas zu verbessern? Spielt dasselbe Publikum nicht den „Regieoper“-Vertretern geradezu in die Hände, indem es den Eurotrash-Inszenierungen derart unverhältnismäßig viel Aufmerksamkeit gönnt und Bedeutung zumisst? Und dreht sich nicht letztendlich der gesamte event-hafte Charakter des gegenwärtigen Opernwesens um diesen allerletzten Moment des Opernbesuchs, wo man nach dem indifferenten Jubel für die Musiker an dem beinahe schon liebgewonnenen Augenblick des rituellen Buh-Gewitters gegen das Regieteam teilnehmen darf? „Welche Unholds List liegt darin verbogen“, dass alle offen gegen die Regieoper-Ästhetik auftreten, aber dass Keiner sich grundsätzlich kritisch zu den gesanglichen Leistungen zu äußern wagt? Was ist das für eine Ideologie, die den Opernsängerberuf von jeglicher Bindung an hartes, professionelles Training anhand klarer stimmpädagogischer Kriterien frei spricht und alles in einem nichtssagenden Relativismus untergehen lässt, in dem letztendlich alle auf irgendeine Weise „überzeugen“, aber keiner eigentlich singt. Zeugt diese Attitüde nicht von einem fundamentalen Desinteresse für den Gesang als Kunstform? Muss der Sinn für dieses musikalische Erbe wirklich nur noch in pseudo-komplexen Regiedeutungen gesucht werden? Jedenfalls ist es eine Tatsache, dass über Gesang äußerst wenig diskutiert wird; und selbst wenn gesangliche Leistungen zum Thema werden, werden die systematischen, technischen Unzulänglichkeiten der Mehrzahl der heutigen Sänger im Namen einer abstrakten „Ausdrucksstärke“ oder sonstiger außermusikalischer Begriffe übergangen.
In dem Maße, in dem das Publikum die Macht der „Regieoper“ durch seinem eigenen Protest, bzw. durch das Fehlen eines echten Interesse für den musikalischen und besonders den stimmlichen Part heraus, noch fördert, investiert eine Festspielleitung wie die der Bayreuther Festspiele ihr ganzes Potential in die Produktion – oder besser Reproduktion – pseudo-intellektueller, pseudo-ikonoklastischer „Lektüren“ der Werke Wagners. Sie scheint ironischerweise immer noch dem legendären Jahrhundert-Ring von Patrice Chereau als Ideal für theatralische Innovation verhaftet zu sein. Leider vergisst die Festspielleitung, dass diese historizistischen, dekonstruktivistischen Regieansätze wenigstens seit dem Moment nicht mehr revolutionär und innovativ sind, als im Jahre 1976 Patrice Chereau zum ersten Mal seine Deutung der Tetralogie vorschlug. Regisseure wie Katharina Wagner oder Hans Neuenfels scheinen einen tiefen, mythischen Glauben an die „Wende“ zu haben, die sich in der Attitüde des Bayreuther Publikums hinsichtlich des Chereau’schen Rings vollzog und die einen Theaterskandal letztendlich in einen Theatertriumph und einen Klassiker verwandelte. Dabei wird nicht beachtet, dass diese Wende in erster Linie wegen der tatsächlichen Klarheit und Kohärenz des Chereau’schen Konzeptes und der visuellen Originalität erfolgte, d.h. wegen all dem, was den Meistersingern einer Katharina Wagner oder dem Lohengrin eines Neuenfels schlichtweg fehlt.
Sowohl das Publikum als auch die Festspielleitung von Bayreuth scheinen – wie schon immer in der Geschichte des Festspielhauses – in konzentrierter und zugespitzer Form die gesamten Tendenzen und Probleme des breiten (bei weitem nicht mehr nur) deutschsprachigen Opernpublikums in sich zu vereinen. Das Einzige, was bis jetzt am Grünen Hügel von den Wagnerschwestern mit Ernst unternommen wurde, ist die Perfektionierung der Marketingmaßnahmen. Von einer Sängerakademie war die Rede, aber davon gibt es noch keine Spur. Es bleibt ohnehin fraglich, wer überhaupt in einer solchen Wagner-spezialisierten Akademie unterrichten sollte, wo doch sogar die renommiertesten Gesangslehrer des deutschsprachigen Raumes (und inzwischen auch ein großer Teil der einst glorreichen italienischen Schule) systematisch Methoden anwenden, die die Verwirklichung des traditionellen Ideals einer vom Atem getragenen, hoch platzierten, frei fließenden Stimme geradezu verhindern. Was man im nördlichen Raum von der großen Mehrheit der als Stars gefeierten Sänger hört, ist zumeist kehliges und gepresstes Singen, schlecht tragende, ungenügend fokussierte und durch falsche Atmung träge klingende Stimmen – gravierende gesangliche Mängel, die keinen Raum für Flexibilität, Legato oder farbliche Nuancen lassen - von stimmlicher Langlebigkeit ganz zu schweigen. Das letztere Problem wird noch durch ein falsches Besetzungssystem verschlimmert. Anstatt einen lyrischen Tenor wie Robert Dean Smith den Tristan singen zu lassen, der ihm drei Nummern zu groß ist, sollte man doch seine lyrischen Qualitäten und seine große Musikalität, in einer Rolle einsetzen, der Dean Smith mit seinen Kapazitäten gewachsen ist: Walther von Stolzing, Parsifal oder höchstens Lohengrin.
Auch hinsichtlich der Dirigenten war in den letzten Jahren Christian Thielemann der Einzige, der mit seinen Interpretationen für authentische Orchesterereignisse sorgen konnte (wobei er als Sängerdirigent weniger Lob verdient). Man muss feststellen, dass sehr viele interessante und geschulte Dirigenten, die bestimmt technisch solidere und interpretatorisch originellere Deutungen bieten könnten als ein Andris Nelsons (oder die Katze im Sack par excellence, wie der für den nächsten „Ring“ vorgesehene Kiril Petrenko), bei den Festspielen systematisch fehlen. Man denke nur an einen Bychkov, Haitink, Eschenbach, Janowski oder auch De Billy, dessen Parsifal in Turin mit einer der persönlichsten, intimsten und aufschlussreichsten Lektüren dieser Partitur triumphierte. Es wird natürlich bezüglich der Auswahl der Dirigenten oder der Sängerbesetzungen wiederholt auf technisch-finanziell-politisch-kulturelle Probleme hingewiesen, die man als Kritiker an den Festspielen doch berücksichtigen müsse. Man fragt sich aber, welche künstlerische Relevanz ein renommiertes internationales Festival noch haben kann, das einen substanziellen, auf keine materiellen Probleme reduzierbaren Mangel an Qualität mit allen möglichen Entschuldigungen auszugleichen sucht und leider allzu wenig Willen und Können für eine Besserung des musikalisch-theatralischen Niveaus erkennen lässt. Dann sollte man doch lieber den Laden schließen und das Geld, das man für „Hochkultur“ auszugeben wähnt, in etwas Nützlicheres investieren, anstatt weitere farblose und pseudoskandalöse Jubiläen über das Werk des Meisters und das musikalischer Qualität gegenüber anspruchslose Durchschnitts-Publikum ergehen zu lassen. Letztendlich wird aber Vieles davon abhängen, ob das angesprochene Publikum mit der Selbstverherrlichung weiterzumachen gedenkt und weiterhin bereitwillig für mangelhafte musikalische Qualität zu zahlen bereit ist, oder ob der Wille aufkommen wird, das Niveau der Künstler durch gründlichere Kritik und höheren Anspruch zu heben. Bis dato werden bloß des Kaisers neue Kleider bewundert.
Gli ascolti
Wagner
Lohengrin
Atto III
In fernem Land - Miguel Fleta (1926), Ivan Kozlovsky (1949)
Die Meistersinger von Nürnberg
Atto I
Am stillen Herd - Francisco Viñas (1908)
Atto III
Morgenlich leuchtend - Paul Franz (1919)
Parsifal
Atto II
Amfortas! Die Wunde - Isidoro de Fagoaga (1930)
Tannhäuser
Atto II
Blick' ich umher - Arthur Endrèze (1932)
Atto III
O du mein holder Abendstern - Mattia Battistini (1902)
Tristan und Isolde
Atto III
Mild und leise - Giannina Russ (1913)
In der herrschenden Durchschnittlichkeit oder sogar Unzulänglichkeit der musikalisch-theatralischen Leistungen zeichnen sich einzig der Festspielchor unter der Leitung des großen Eberhard Friedrich und der Ausnahmekünstler Kwangchul Youn als Festspiel- und Wagner-würdige Elemente durch bewundernswerte Stabilität aus. Es sei noch auf die überraschende Leistung von Thomas Hengelbrock im neuen Tannhäuser hingewiesen, den er im Großen und Ganzen mit sicherer Hand und guter Klangtransparenz dirigierte, oder auch auf die zweifellos sehr gelungene Parsifal-Inszenierung von Stefan Herheim, der mit seinem Konzeptansatz gegenwärtig das einzige überzeugende, d.h. gedanklich kohärente und visuell ansprechende, Regieexperiment des zum Regie-Workshop radikalisierten Grünen Hügels bietet. Es werden manchmal noch die Bässe Georg Zeppenfeld und Günther Groissböck hervorgehoben, aber nur mit korrekten, keineswegs glanzvollen Darstellungen des Landgrafen, Pogner oder König Heinrich allein wird bestimmt kein erfolgreiches internationales Wagnerfestspiel zustande gebracht. Dass es sich im Falle eines Groissböck nicht einmal um einen echten Bass, sondern um eine in der Tiefe inexistente, forcierende und schlecht projizierte Baritonstimme handelt, wird von niemandem bemerkt (man höre nur seinen Sarastro).
Das Problem der Sängerkrise (die sich bestimmt nicht nur auf das Wagnerrepertoire beschränken lässt) wird mehr oder weniger von Allen anerkannt. In Bayreuth bekundet sie sich allerdings auf eine noch kritischere Weise, denn in vielen Fällen bietet die Festspielleitung nicht bloß nur knapp durchschnittliche Besetzungen, sondern geradezu die Schlechtesten, die durch größere Aufmerksamkeit für den musikalischen Teil und durch mehr Kompetenz in Sachen Gesang bestimmt vermieden werden könnten. Man muss sich umso mehr über die niedrige stimmliche Qualität wundern, als es doch heißt, dass in Bayreuth alle Sänger, ungeachtet ihres Ruhmes, vorsingen müssen – dass die Festspielleitung also eigentlich nie eine Katze im Sack kauft. Daher bleibt nichts anderes, als die musikalische Kompetenz der für Castings zuständigen Personen radikal in Frage zu stellen. Da denkt man gleich an die Fälle katastrophaler gesanglicher Leistungen, wie Stephanie Friede, Annette Dasch, Irene Theorin, Susan Maclean oder, im letzten Jahr, Evelyn Herlitzius. Andere Sänger, wie der überförderte Klaus Florian Vogt, der nasale und mehr deklamierende als singende Simon O’Neill, die farblose Manuela Kaune oder die in den letzten Jahren merklich nachlassende Camilla Nylund, überschreiten ja kaum das Niveau des Durchschnittlichen und Akzeptablen. Eine ganze Reihe von Baritonen, wie die Interpreten des Telramund, Kurwenal oder Amfortas sind sowieso nichts als permanente Exponenten des notorischen „Bayreuth bark“. Und da kann auch ein Michael Nagy nicht helfen, denn mit seinem schwachen Legato bleibt sein Wolfram meilenweit hinter den großen lyrischen Wagnerbaritonen der Vergangenheit zurück. Die meisten der in Bayreuth präsenten Sänger kennzeichnen sich also dadurch, dass sie wegen äußerst mangelhafter Stimmtechnik entweder schlichtweg Schiffbruch erleiden oder nur knapp daran vorbeischlittern und in ihren Darstellungen letztlich völlig blass bleiben und alles andere als Maßstäbe für Wagnerinterpretationen setzen.
Das Publikum aber spendet reichlich Applaus und bestraft hier und da nur jene unzulänglichen Sänger, die zusätzlich noch das Pech haben, in besonders unerfreulichen Inszenierungen mitzuwirken. Als A und O der Produktionen bleiben sowohl im Guten als auch im Schlechten die Inszenierungen, denn einzig daran orientiert sich das Publikum. Die vielen musikalischen und stimmlichen Unzulänglichkeiten werden mit allen möglichen Surrogaten und Entschuldigungen vollgestopft, sodass letztendlich ein Simon O’Neill mit seinem deklamierten und gebrüllten Parsifal, der eher wie ein Mime dritten Ranges klingt, „überzeugt“ oder dass eine Annette Dasch damit entschuldigt wird, dass sie vielleicht doch eher „für das Mozartfach geeignet“ ist. Man vergisst aber, dass mit einer Stimme, die keine einzige Note mit der notwendigen Atemstütze produziert und deswegen systematisch wackelt und wankt, auch Mozart nicht gesungen werden kann / darf. In diesem Kontext ist die Schuld des zutiefst opportunistischen, offiziellen Kritikwesens nicht nur bei den Bayreuther Festspielen sondern auch allgemein in der gesamten Opernindustrie unermesslich groß. In den meisten Kritiken werden die Sänger entweder völlig abstrakt gelobt oder nur knapp und ohne detaillierte Stellungnahme namentlich erwähnt. Manchmal kommen sie in den Rezensionen überhaupt nicht vor, weil die Kritiker als ihre allererste und allerheiligste Pflicht eine detaillierte und hochphilosophische Analyse der hochkomplexen und hochphilosophischen Regiekonzepte betrachten. Die Sänger werden in nichtssagenden Pauschalurteilen zusammengefasst: „Sternstunde“, „glanzvoll“ und „kongenial“.
Ironischerweise kopieren die Musikliebhaber, die „unabhängigen Kritiker“, die auf verschiedenen deutschsprachigen Foren oder Blogs tätig sind, geradezu karikaturenhaft die Sprache der offiziellen Kritiker und kommen so auch selbst systematisch zu dem Ergebnis, dass, trotz schriller Töne, einer generellen Tendenz zum Sprechen, einer kehlig-forcierten Stimme und einer inexistenten Stimmführung, ein Simon O’Neill „überzeugen durfte“. Wie eine Karikatur mutet in diesem Diskurs des schreibenden Publikums und der publizistischen Schreiber sowohl das semantisch vage „überzeugen“, das jede Beurteilung anhand klarer Kriterien bewusst vermeidet, als auch das „dürfen“ an. Letzteres hat den Beigeschmack eines Gestus des erlesenen Publikums, das mit Ernst, Autorität und Herablassung den Künstler einer schweren Prüfung unterwirft und ihn letztendlich als Sieger akzeptiert, wobei der brausende Beifall, den es dem heutigen tristen künstlerischen Durchschnitt beschert, in sich schon die totale Verneinung jeglicher Kompetenz darstellt, worauf das gegenwärtige Festspiel- oder Alltagspublikum Anspruch erheben kann. Neben der permanenten Tendenz, aus einer Not eine Tugend zu machen und die unleugbaren Mängel der Sänger mit allen möglichen rhetorischen Instrumenten zu verklären, womit die Kritik als Generator des absoluten gesellschaftlichen Konsens der Vermarktung der künstlerischen Werte zum Erfolg verhilft, verrät das Publikum besonders bei hochkarätigen Festspielen, wie Bayreuth, die Tendenz zu besonderer Exaltiertheit. Mehr als das Werk und die Aufführung zelebriert sich hier das Publikum selbst für die Geduld von 10 Jahren Wartezeit und setzt letztendlich das tatsächliche künstlerische Niveau zu einer drittrangigen Nebenerscheinung herab.
Man kann nicht bestreiten, dass eine Irene Theorin dem überwiegenden Teil des Publikums tatsächlich gefallen haben muß. Wenn weder gebuht noch kritisiert wird, können auch die Zeitungschroniken aus heiterem Himmel kein Fiasko herab beschwören. Dass aber die offiziellen Kritiker, Experten und sonstige Spezialisten hinsichtlich des generellen Verfalls des musikalischen Niveaus absichtlich die Augen zudrücken, damit, abseits von künstlerischer Qualität, die Maschine des gesellschaftlichen Konsenses und jener des quantitativen, kommerziellen Erfolgs weiterfunktioniert, kann man nur als professionelle Unehrlichkeit bezeichnen. Natürlich ist der kommerzielle Erfolg der Opernindustrie in der Zeit der Finanzkrise höchst bedeutend, aber es wird vergessen, dass mit der systematischen (und oft wider besseren Wissens) Heraufbeschwörung und der fabrikmäßigen Reproduzierung von inexistenten „Sternstunden“, in deren Glanz sich sowohl das anspruchslose Publikum als auch die inadäquaten Künstler sonnen, kein erfolgreiches Dauerergebnis erlangt werden kann. Denn einer derart blassen und professionell unzuverlässigen Sängergeneration wird eine folgen, die noch unzureichender ist, deren Niveau hinsichtlich Stimmführung, Stimmprojektion und vokaler Langlebigkeit noch tiefer sinken wird. Letztendlich wird nichts anderes mehr bleiben, als im deutschen, spätromantischen Repertoire (und warum nicht auch in Mozart oder Verdi?) anstatt eines ohnehin schon falsch verstandenen Sprechgesanges nur noch reine Deklamation darzubieten, wobei das erlesene Publikum selig weiterklatschen wird bis die komplette Sackgasse auch tatsächlich für jedermann augenscheinlich wird.
Besonders symptomatisch in dieser Sänger- und Hör-krise ist das aktuelle Phänomen der Bedeutung einer Gegnerschaft oder Anhängerschaft hinsichtlich der „Regieoper“. Die Ausarbeitung besonders komplizierter, unverständlicher und absolut unmusikalischer Inszenierungen scheint nicht nur die ausgesprochene Priorität der neuen Festspielleitung des Grünen Hügels zu sein, sondern ist auch, wie schon erwähnt, der Hauptorientierungspunkt des Publikums. Mittlerweilen deklarieren ganze Gruppen von Musikliebhabern ihre Bereitschaft, systematisch gegen das „Regieoper“-Syndrom kämpfen zu wollen; lange, feurige Debatten werden dem Thema gewidmet und Taktiken und Prognosen werden angeboten. Es bleibt aber äußerst fraglich, ob die Abschaffung der „Regieoper“-Diktatur hinsichtlich der musikalischen Dimension der Aufführungen etwas bewirken würde. Denn den Sängern wird ja, wie man sieht, stets reichlich Beifall gespendet. Sie werden sogar zu Geiseln der Eurotrash-Regisseure erklärt. Was passiert aber, wenn ein Regisseur eine leere und fast konzertante Inszenierung wie „Die Frau ohne Schatten“ bei den diesjährigen Salzburger Festspielen darbietet? Die Sänger bleiben ihrer stimmlichen Unzulänglichkeit überlassen, besonders im Falle der absolut unakzeptablen Kaiserin der Frau Schwanewilms, und singen genauso schlecht wie sonst.
Gibt es denn im Publikum, das sich gegen die „Regieoper“ mit heftigen Buh-Orkanen wehrt, überhaupt das Bedürfnis, auch auf musikalischem Niveau etwas zu verbessern? Spielt dasselbe Publikum nicht den „Regieoper“-Vertretern geradezu in die Hände, indem es den Eurotrash-Inszenierungen derart unverhältnismäßig viel Aufmerksamkeit gönnt und Bedeutung zumisst? Und dreht sich nicht letztendlich der gesamte event-hafte Charakter des gegenwärtigen Opernwesens um diesen allerletzten Moment des Opernbesuchs, wo man nach dem indifferenten Jubel für die Musiker an dem beinahe schon liebgewonnenen Augenblick des rituellen Buh-Gewitters gegen das Regieteam teilnehmen darf? „Welche Unholds List liegt darin verbogen“, dass alle offen gegen die Regieoper-Ästhetik auftreten, aber dass Keiner sich grundsätzlich kritisch zu den gesanglichen Leistungen zu äußern wagt? Was ist das für eine Ideologie, die den Opernsängerberuf von jeglicher Bindung an hartes, professionelles Training anhand klarer stimmpädagogischer Kriterien frei spricht und alles in einem nichtssagenden Relativismus untergehen lässt, in dem letztendlich alle auf irgendeine Weise „überzeugen“, aber keiner eigentlich singt. Zeugt diese Attitüde nicht von einem fundamentalen Desinteresse für den Gesang als Kunstform? Muss der Sinn für dieses musikalische Erbe wirklich nur noch in pseudo-komplexen Regiedeutungen gesucht werden? Jedenfalls ist es eine Tatsache, dass über Gesang äußerst wenig diskutiert wird; und selbst wenn gesangliche Leistungen zum Thema werden, werden die systematischen, technischen Unzulänglichkeiten der Mehrzahl der heutigen Sänger im Namen einer abstrakten „Ausdrucksstärke“ oder sonstiger außermusikalischer Begriffe übergangen.
In dem Maße, in dem das Publikum die Macht der „Regieoper“ durch seinem eigenen Protest, bzw. durch das Fehlen eines echten Interesse für den musikalischen und besonders den stimmlichen Part heraus, noch fördert, investiert eine Festspielleitung wie die der Bayreuther Festspiele ihr ganzes Potential in die Produktion – oder besser Reproduktion – pseudo-intellektueller, pseudo-ikonoklastischer „Lektüren“ der Werke Wagners. Sie scheint ironischerweise immer noch dem legendären Jahrhundert-Ring von Patrice Chereau als Ideal für theatralische Innovation verhaftet zu sein. Leider vergisst die Festspielleitung, dass diese historizistischen, dekonstruktivistischen Regieansätze wenigstens seit dem Moment nicht mehr revolutionär und innovativ sind, als im Jahre 1976 Patrice Chereau zum ersten Mal seine Deutung der Tetralogie vorschlug. Regisseure wie Katharina Wagner oder Hans Neuenfels scheinen einen tiefen, mythischen Glauben an die „Wende“ zu haben, die sich in der Attitüde des Bayreuther Publikums hinsichtlich des Chereau’schen Rings vollzog und die einen Theaterskandal letztendlich in einen Theatertriumph und einen Klassiker verwandelte. Dabei wird nicht beachtet, dass diese Wende in erster Linie wegen der tatsächlichen Klarheit und Kohärenz des Chereau’schen Konzeptes und der visuellen Originalität erfolgte, d.h. wegen all dem, was den Meistersingern einer Katharina Wagner oder dem Lohengrin eines Neuenfels schlichtweg fehlt.
Sowohl das Publikum als auch die Festspielleitung von Bayreuth scheinen – wie schon immer in der Geschichte des Festspielhauses – in konzentrierter und zugespitzer Form die gesamten Tendenzen und Probleme des breiten (bei weitem nicht mehr nur) deutschsprachigen Opernpublikums in sich zu vereinen. Das Einzige, was bis jetzt am Grünen Hügel von den Wagnerschwestern mit Ernst unternommen wurde, ist die Perfektionierung der Marketingmaßnahmen. Von einer Sängerakademie war die Rede, aber davon gibt es noch keine Spur. Es bleibt ohnehin fraglich, wer überhaupt in einer solchen Wagner-spezialisierten Akademie unterrichten sollte, wo doch sogar die renommiertesten Gesangslehrer des deutschsprachigen Raumes (und inzwischen auch ein großer Teil der einst glorreichen italienischen Schule) systematisch Methoden anwenden, die die Verwirklichung des traditionellen Ideals einer vom Atem getragenen, hoch platzierten, frei fließenden Stimme geradezu verhindern. Was man im nördlichen Raum von der großen Mehrheit der als Stars gefeierten Sänger hört, ist zumeist kehliges und gepresstes Singen, schlecht tragende, ungenügend fokussierte und durch falsche Atmung träge klingende Stimmen – gravierende gesangliche Mängel, die keinen Raum für Flexibilität, Legato oder farbliche Nuancen lassen - von stimmlicher Langlebigkeit ganz zu schweigen. Das letztere Problem wird noch durch ein falsches Besetzungssystem verschlimmert. Anstatt einen lyrischen Tenor wie Robert Dean Smith den Tristan singen zu lassen, der ihm drei Nummern zu groß ist, sollte man doch seine lyrischen Qualitäten und seine große Musikalität, in einer Rolle einsetzen, der Dean Smith mit seinen Kapazitäten gewachsen ist: Walther von Stolzing, Parsifal oder höchstens Lohengrin.
Auch hinsichtlich der Dirigenten war in den letzten Jahren Christian Thielemann der Einzige, der mit seinen Interpretationen für authentische Orchesterereignisse sorgen konnte (wobei er als Sängerdirigent weniger Lob verdient). Man muss feststellen, dass sehr viele interessante und geschulte Dirigenten, die bestimmt technisch solidere und interpretatorisch originellere Deutungen bieten könnten als ein Andris Nelsons (oder die Katze im Sack par excellence, wie der für den nächsten „Ring“ vorgesehene Kiril Petrenko), bei den Festspielen systematisch fehlen. Man denke nur an einen Bychkov, Haitink, Eschenbach, Janowski oder auch De Billy, dessen Parsifal in Turin mit einer der persönlichsten, intimsten und aufschlussreichsten Lektüren dieser Partitur triumphierte. Es wird natürlich bezüglich der Auswahl der Dirigenten oder der Sängerbesetzungen wiederholt auf technisch-finanziell-politisch-kulturelle Probleme hingewiesen, die man als Kritiker an den Festspielen doch berücksichtigen müsse. Man fragt sich aber, welche künstlerische Relevanz ein renommiertes internationales Festival noch haben kann, das einen substanziellen, auf keine materiellen Probleme reduzierbaren Mangel an Qualität mit allen möglichen Entschuldigungen auszugleichen sucht und leider allzu wenig Willen und Können für eine Besserung des musikalisch-theatralischen Niveaus erkennen lässt. Dann sollte man doch lieber den Laden schließen und das Geld, das man für „Hochkultur“ auszugeben wähnt, in etwas Nützlicheres investieren, anstatt weitere farblose und pseudoskandalöse Jubiläen über das Werk des Meisters und das musikalischer Qualität gegenüber anspruchslose Durchschnitts-Publikum ergehen zu lassen. Letztendlich wird aber Vieles davon abhängen, ob das angesprochene Publikum mit der Selbstverherrlichung weiterzumachen gedenkt und weiterhin bereitwillig für mangelhafte musikalische Qualität zu zahlen bereit ist, oder ob der Wille aufkommen wird, das Niveau der Künstler durch gründlichere Kritik und höheren Anspruch zu heben. Bis dato werden bloß des Kaisers neue Kleider bewundert.
Gli ascolti
Wagner
Lohengrin
Atto III
In fernem Land - Miguel Fleta (1926), Ivan Kozlovsky (1949)
Die Meistersinger von Nürnberg
Atto I
Am stillen Herd - Francisco Viñas (1908)
Atto III
Morgenlich leuchtend - Paul Franz (1919)
Parsifal
Atto II
Amfortas! Die Wunde - Isidoro de Fagoaga (1930)
Tannhäuser
Atto II
Blick' ich umher - Arthur Endrèze (1932)
Atto III
O du mein holder Abendstern - Mattia Battistini (1902)
Tristan und Isolde
Atto III
Mild und leise - Giannina Russ (1913)
7 commenti:
Weil dies ein deutscher Artikel ist, hier mal ein deutscher Kommentar.
In manchem kann man den Ausführungen durchaus zustimmen.
Ich bin nur immer wieder sehr verwundert über die angefügten Musikbeispiele.
Die ersten beiden habe ich mir angehört.
Stellen Sie Fletas portamenti, eher noch sein Anschleifen, oder die unmöglichen rubati, besser absolut unmusikalischen Tempoverschleppungen Kozlovskys, als ideal dar?
Es sind Tonträgeraufnahmen, die so nie auf einer Bühne tragen würden.
Danke für den Kommentar.
1. Dass die Musikbeispiele teilweise als Provokation gemeint sind, ist, denk ich, gewissermaßen klar. Falls Sie bemerkt haben, haben wir dem italienischen Text über Bayreuth Wagner auf Deutsch angefügt, dem deutschen - Wagner auf Italienisch/Russisch. Diese Provokation ist aber keineswegs destruktiv gemeint, denn
2. auch wenn in stilistischer Hinsicht ein Fleta oder ein Kozlovsky heute absolut unvereinbar mit dem Geschmack unserer Epoche erscheinen können, könnte man, glaub ich, von ihnen sehr Vieles lernen, was Atemtechnik, Sound und Nuancenreichtum betrifft. Ja, Kozlovsky verschleppt die Tempi, aber warum fragt man zugleich nicht, ob heute jemand von den Wagner-"spezialisten" mit so großzügigen Atem singen kann?
Zwei Sekunden von Fletas mezza voce reichen aus um gewisse, als mezza-voce-Wunder deklarierte Falsetti mancher heutiger Startenors in ihrem technischen (und tragischerweise auch stilistischen) Primitivismus zu entlarven.
Die Hörbeispiele, die unser Corriere aus der Schellkackplatte-Ära oder der Mitte des 20. Jahrhunderts nimmt, zielen immer darauf, einerseits auf die oft unübertroffene technische Fertigkeit dieser Sänger aufmerksam zu machen, andererseits aber die Hörer/Leser gerade über stilistische Feinheiten, Differenzen und Diskrepanzen nachdenken zu lassen.
Keiner hat hier die Illusion, dass heute ein Lohengrin wie der von Fleta auf der Bühne auftreten könnte. Aber würdigen die, die heute tatsächlich auftreten, die Bühne? Haben sie überhaupt einen Stil? Erlaubt ihnen ihre technische Unzulänglichkeit überhaupt, einen kohärenten Stil zu haben? Die Differenz zwischen einem Fleta und einem O'Neill ist, dass Fleta mit gleichem Erfolg deklamiert hätte, wie er hier den Lohengrin belkantistisch vorträgt. Simon O'Neill hat aber gar keine Wahl. Er deklamiert und spricht, weil ihm seine Technik nichts anderes erlaubt. Das gilt für die große Mehrheit unserer aktuellen Sänger. Dem Corriere ist dieser Aspekt immer sehr wichtig.
Ich hoffe, die doppelte oder manchmal sogar dreifache analytische Funktion unserer Hörbeispiele ist jetzt mit meiner Antwort etwas klarer geworden.
Der allergrößte Teil der Sänger – und keineswegs nur in Bayreuth – haben derart gravierende technische Mängel und stimmliche Defizite, dass sie so mit den Anforderungen der Partie beschäftigt sind, dass es zu einer Rollengestaltung und Interpretation gar nicht kommen kann.
Nicht so sehr WIE gesungen wird, sondern DASS gesungen wird soll denke ich hier anhand der Tonbeispiele gezeigt werden.
Völlig richtig.
Was die heutigen Sänger betrifft, ist ja aber das eigentliche Problem eher diese falsche Dialektik, die zustande kommt: Viele Sänger überspringen gerade die technischen Anforderungen der Rolle um gleich beim "Ausdruck" anzukommen. Und das Publikum ist heute so naiv, dass es Geflüster und Geschrei mit feuriger Interpretation verwechselt. So macht es sich sowohl das Publikum als das Sängerensemble ganz leicht. Und so wird der Wert einer Aufführung, der dynamische Prozess einer Neubelebung der Musik (ohne den ja, im Gegensatz zu einem Gemälde, die Musik gar nicht leben kann) völlig abgeschwächt und aus der Oper, besonders in Bayreuth, ein abstraktes Ritual gemacht, wo die konkreten Elemente der Aufführung keine unmittelbare Bedeutung mehr haben. Deswegen stechen auch so wenige künstlerische Persönlichkeiten hervor und bleiben in durchschnittmäßiger Anonymität.
Da man überall mehrfach aus kulturellen, finanziellen, sozialen, musikalischen und philosophischen Gründen den Tod der Oper angesprochen hat, ist, denk ich, der Tod der Oper nichts anderes, als diese Entwertung des dynamischen, kritischen, TECHNISCHEN Prozesses einer Aufführung.
... und damit sind wir wieder dort angelangt: aus der NOT eine TUGEND machen.
Und nicht zuletzt wird durch den Mangel an großen Sängern und Sängerpersönlichkeiten die Aufmerksamkeit auf die Regie gelenkt und inkompetenten Opern-Regisseuren eine unverhältnismäßige Bedeutung zugesprochen.
Ja, gerade deswegen ist es wichtig, nicht nur darüber nachzudenken, wie man aus der Regieoper-krise herauskommt, sondern auch WO man hingehen will. Gilt es, die Regieoper mit einer besseren Regieoper zu ersetzen oder überhaupt die Verhältnisse zwischen Musik, Wort und Szene neu aufzuarbeiten? Da bleiben leider die meisten nur in einem fanatischen Kampf gegen den Eurotrash stecken. Deswegen lässt diese Situation denken, dass man für Gesang in diesem Fall überhaupt nicht interessiert ist. Gesang wird, wie es mir scheint, heute überhaup tnicht mehr als der potentielle Raum angesehen, wo Wagner- und Werk-INTERPRETATION zustande kommen kann.
Man kann nur vollzustimmen. Es gibt dennoch ein andere Probleme zu betrachten. Ein international Festspiel sollte hochkarätige Produktionen anbieten, oder zumindest sich bemühen, dies zu tun.
Wie es scheint immer klarer, das Publikum ist einfach müde zu zahlen so teuere Karten um Produktionen anschauen, die in ein Viertel des Preises, zu jedem deutschen Theater gefunden werden können.
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