
Nach der Fernsehübertragung des Bayreuther „Rattengrin“, in der die Starsopranistin eine gerade nur befriedigende Elsa darstellte, hielt es das mediale Konsenssystem für nötig, dem musikliebenden Publikum ein Konzert mit Annette Dasch zu bieten, in der die deutsche Sängerin wieder einmal beweisen konnte, dass sie von Gesangskunst nicht viel hält. Wir hätten diesem Konzert gar keine eigene Rezension gewidmet, wenn die junge deutsche Sängerin mit all ihren stimmlichen Mängeln und Symptomen nicht geradezu ein Paradebeispiel für einen Gesangs-Stil, geradezu ein „stimmliches Krankheitsbild“ wäre, das europaweit begeisterte Anhänger bei Sängern und Gesangsprofessoren findet und eine ganze Generation junger Sänger auf einen Irrweg führt, der so gut wie keine positive Stimmbildung und -entwicklung zulässt. Die Hauptmerkmale dieser Art zu singen sind
• eine tiefe, kehlige Positionierung der Stimme,
• künstliches Abdunkeln des Timbres,
• künstliches Vergrößern und Aufblasen des mittleren und tiefen Registers
• ständiges Forcieren anstatt einer Stützung des Klanges durch diaphragmatisch-dorsalen Atemdruck.
Das ist der Ersatz für die gesunde italienische Technik, die wesentlich auf einer konstanten Atemstütze basiert und der Stimme zum vollen Blühen des Timbres und zu Festigkeit, Stetigkeit und Wachstum verhilft, die ihrerseits die Anerkennung des tatsächlichen Stimmmaterials und seiner natürlichen Grenzen voraussetzen. Das Fehlen der richtigen Atemstütze führt zu einer permanenten Destabilisierung einer homogenen Stimmdurchbildung, verhindert jegliches Legato-Singen und bewirkt wegen des größeren Drucks auf die Stimmbänder einen vorzeitigen Alterungsprozess, in dem die Stimme frühzeitig an Volumen, Frische und Strahlkraft einbüßt. Die tiefe, gutturale Positionierung der Stimme und das Nicht-Anerkennen der natürlichen Stimm-Ressourcen durch das künstliche „Aufpumpen“ der Stimme um den Klang zu vergrößern und in die Breite zu treiben verursacht zudem, dass die Sänger selbst ihre Stimme zwar tatsächlich als voluminöser empfinden, die Stimme aber im Raum wenig Tragfähigkeit besitzt und nicht in ihrem ganzen Klangreichtum zum Schwingen kommt. Sie klingt verquollen, stumpf und farblos.
Annette Dasch teilt dieses „Krankheitsbild“ mit einer großen Anzahl ihrer jungen Kollegen und Kolleginnen. Sie mag sogar eine der extremsten Exponentinnen dieser „Methode“ sein (wobei ein Jonas Kaufmann mit dem gleichen System mehr Kohärenz aufweist, es aber trotz der Schädlichkeit der Methode schafft, sie in ein gewisses Ausdruckssystem umzumünzen). Das Einzige, was Annette Dasch auszeichnet, ist, dass das Konsens- und Marketingsystem aus den vielen mittelmäßigen Begabungen ausgerechnet sie für eine standardmäßige „Star“-Laufbahn auserwählt hat. Wir hatten in unserer längeren Auseinandersetzung mit dem Problem „Bayreuth“ schon erwähnt, dass die Probleme der Dasch in der Rolle der Elsa nicht mit nur dem Argument entschuldigt werden können, dass die Rolle für sie eine Kategorie zu groß war - wobei von ihren Anhängern sofort auf ihre Affinität mit Mozart hingewiesen wird. Noch einmal wollen wir betonen, dass mit systematisch fehlender Atemstütze (daher mit permanent forcierten und geschrienen hohen Tönen, Timbre-Ungleichmäßigkeiten, Schwierigkeiten im Registerwechsel) und einer inexistenten musikalischen Linie auch Mozart nicht gesungen werden kann. Im Gretchen-Konzert hatte die Starsopranistin relativ gesehen weniger stimmliche Probleme als in den Bayreuther Aufführungen, aber das ungesunde Gesangsprinzip (besser gesagt dessen Prinziplosigkeit) ändert sich dabei nicht. Man höre nur gleich die ersten hohen Töne, die sofort an Farbe verlieren, und bemerke die große Anstrengung, die sich sowohl in der Stimme als auch in den Gesichts- und Körperbewegungen der Sopranistin widerspiegeln.
In diesem Kontext stellen wir eine weitere generelle Gretchenfrage: Wessen Schuld ist all das?
Der Grund des sinkenden Gesangsniveaus wird gerne der „unmenschlichen“ und inkompetenten Geschäftsführung der Opernagenturen und Intendanten oder der Regiediktatur zugeschrieben. Kaum jemand hinterfragt aber die Methoden, die heutzutage die Mehrheit der Gesangslehrer anwenden. Gerade diese von ihnen verbreitete „Ästhetik“ ist es aber, die zu dieser äußerst unfreien und angestrengten Stimmemission führt und verursacht, dass Sänger wegen der vorgetäuschtem dunkleren Stimmfarbe, eines künstlichen Volumens und einer gewissen „Dicke“ des Materials systematisch auf ein falsches und ungeeignetes Repertoire angesetzt werden.
Wenn die Professoren nicht anerkennen, dass diese nachkriegszeitliche (aber im Grunde schon in der Bayreuth-Reform von Cosima Wagner vorgezeichnete), im Wesentlichen deutsche Methode gescheitert ist und junge Talenten systematisch ruiniert, wird der Stagnationsprozess nicht mehr anzuhalten sein. Mit all der musikgeschichtlichen Literatur, dem anatomischen Forschungsstand und den zahlreichen Tonaufnahmen sollte es ja eigentlich theoretisch leichter fallen, eine richtige Entwicklung der Stimmen zu sichern. Stattdessen wird mit beneidenswerter Konsequenz Alles getan, um zu verhindern, dass die Stimmen ihrem natürlichen Potenzial entsprechend behandelt werden und ihnen Zeit und die technische Möglichkeit belassen wird, allmählich zu reifen. Leider gibt es auf dem Horizont noch kein Zeichen des Willens zu einer Wende in Sachen Gesangstechnik. Die letzte Gretchenfrage lautet also: Muss man unbedingt auf einen kompletten Bankrott warten?
Selma Kurz & Giuditta Pasta
Sommario in italiano del concerto di Annette Dasch trasmesso da Arte il 28 agosto
Invece di grisinamente secernere veleno su come Annette Dasch ha urlato ogni nota acuta, come ha gonfiato e forzato il registro centro-grave ed ha dimostrato una totale mancanza di appoggio e respirazione corretta e di una linea musicale degna di questo nome, abbiamo preferito sviluppare una riflessione sul nuovo metodo di canto di stampo essenzialmente tedesco e sul suo profondo fallimento, del quale per l'appunto il canto di Annette Dasch fornisce un ottimo (si fa per dire) esempio.